Um es mal vorwegzunehmen: Ich weiß nicht, wo ich war, als die Mauer fiel. Ich weiß, wo ich war, als Romy Schneider starb, ich weiß, wo ich war, als Prinzessin Diana starb, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich mich, als die erste Mondlandung stattfand, noch nicht in dieser Welt befand; ich hab mir die Sache wohl von angesehen.
Trotzdem beeindruckte mich der Mauerfall, das weiß ich noch. Erstens, weil ich die Leute etwas beneidete; ich fand die leicht anarchischen Situationen, in denen bestehende Gesetze aufgehoben wurden, immer prickelnd; ich rede hier von Hitzefrei und Glatteisfrei. Und von Karneval natürlich. Deshalb beneidete ich die Mauerkletterer insgeheim. Aber nicht genug, um nach Berlin zu fahren.
Zweitens beeindruckte mich die Tatsache, dass die DDR sowas wie ein gigantisches Biotop gewesen sein musste; die Leute von der einen Seite der Mauer sahen aus, wie die Leute von der anderen Seite vor zehn Jahren ausgesehen hatten, klamottentechnisch jetzt. Das war witzig.
Aber am meisten beeindruckte mich, dass meine Großmutter, als die Mauer zu bröckeln begann, loszog, um Hamsterkäufe zu tätigen.
Auf meine Nachfrage klärte sie mich auf, dass sie dem Braten nicht zu trauen gewillt sei. Es könne genau so gut sein, dass die ganze Chose vom Russen von langer Hand lanciert sei, um sich jetzt auch den Rest Deutschlands unter den Nagel zu reißen. So hat sie sich natürlich nicht ausgedrückt. Aber sie war schon verunsichert.
Sie begann also, in größeren Mengen Kaffee, Seife und Wemuth im Keller zu lagern. Das fand ich sehr praktisch, weil ich des öfteren, wenn meine Finanzen etwas mau waren und ich Lust auf eine Erfrischung hatte, mich im Keller meiner Oma und ihrer Schwestern nach belebenden Kaltgetränken umsah. Jetzt hatte sich die Palette auf Wermuth erweitert, auch gut. Nicht mein Lieblingsgetränk, aber beggars can't be choosers, wie der Brite weiß.
Meine Oma war gar nicht dünkelhaft oder misstrauisch, aber sie war, wie Tony Buddenbrook sagen würde, eine Frau, die das Leben kennen gelernt hatte.
Als der Krieg zu Ende ging, lebten meine Oma und ihre Schwestern in Nordhausen, im Harz, in der Zone, und weil das Essen knapp war, schmuggelte meine Oma Schnaps in den englischen Sektor, um ihn gegen Nahrung zu tauschen. Sie zog nächtens mit ihrer jüngeren Schwester und deren Mann, der mit nur noch einem Bein aus dem Krieg zurückgekommen war, durch die finsteren Wäldern und hatte gewaltig Schiß. Keine schlagkräftige Truppe, die drei. Im Gegensatz zum Russen. Der, als meine Oma mal einen nächtliche Alleingang startete, sie auch prompt schnappte. Davon erzählte sie mir mal. "Dann hat der russische Offizier mich geschnappt und mit auf die Wachstube genommen. Und weißt Du, was ich da machen musste, Charlotte?" Sie klangt empört und gedemütigt, und mir stellten sich die Nackenhaare auf. "PUTZEN! Ich musste die Wachstube putzen, danach durfte ich wieder gehen." Das Verhältnis meiner Oma zum Russen gestaltete sich also nicht unbedingt zum Allerbesten. Auch die Tatsache, dass die russischen Offiziere sich das Wohnhaus meiner lieben Tante Heta, Omas älterer Schwester, als Residenz erwählten, und als ersten Amtsakt einen gigantischen Haufen Butter auf das eichene Buffet im Wohnzimmer schlonzten, trübte die Freudschaft. "Das gute Buffet, nein!" Es folgte dann immer eine Schweigsekunde für das geschändete Möbel. ("Aber Madame, wohin so eilig?" "In die Trave, Wunderlich, die Franzosen sind am Silber!") Pluspunkte wusste hingegen jener Offizier zu sammlen, der meinen damals noch kleinen Vater Klaus immer die Luft warf und "Nikolaj" dabei rief.
Jedenfalls zogen die Damen irgendwann nach Düsseldorf zurück, worüber ich, wenn ich mal ganz ehrlich bin, nicht wirklich böse bin.
Sonst hätte ich mir die Mondlandung zwar nch von oben angeguckt, aber mit den weihnachtlichen Sissi-Filmen wär es dann wohl Essig gewesen, und mit Lady Di's XXL-Beerdigung auch. Vom Altbier wollen wir gar nicht reden.
3 Kommentare:
Warum Nikolaj?
Klaus/Nikolaus auf Russisch. Glaub ich. Nehm ich doch mal an. K I N D 4 J A H R E..
Das war ich nicht!!!
"Nicolai ist eine Variante des altgriechischen Namens Nikolaus. Übersetzt bedeutet dieser soviel wie „Sieg des Volkes“ (nike: Sieg; laos: das Volk)."
Vielleicht wollte er doch etwas ganz anders ausdrücken?
KEINKINDUNDNICHT4
Das war ich auch nicht...
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