Mittwoch, 21. Dezember 2011

Kleiner Tipp, großes Lesen

Also, wer jetzt noch kein Geschenk hat und sich fühlt, als werde er keines mehr haben, hier meine beiden Tipps für eine gepflegte, unterhaltsame und erfreuliche Tannenbaumunterlage:

Als Erstes ein Essay über die Geburt des modernen Textes; der Titel "Im Weinberg des Textes" ist ein kleiner Hinweis darauf, warum ich dieses Buch nur strengstens empfehlen kann: Neben seiner Klugheit besticht es durch etwas, das man bei wissenschaftlichen Abhandlungen wohl eher selten antrifft, nämlich Schönheit. Ich finde, dieses Buch ist unglaublich schön und mit großer persönlicher Teilhabe geschrieben.
Ivan Illich beschreibt in seinem Essay anhand des "Didascalicon" von Hugo von St. Victor, geschrieben um 1140, den großen Wechsel vom monastischen zum scholastischen Lesen. Vom Incipit zum Inhaltsverzeichnis, vom Moment des Lektürebeginns zur Stelle, die man aufschlägt; vom Lesen als murmelnde Ganzkörperübung zum stillen Studium; vom "Text" als heiliger Schrift, an der Glossen munter neben und zwischen den Zeilen turnen zur übersichtlichen Trennung von Text und Glosse. Illich verlagert die Geburt unserer modernen Wissenschaften, die kulturhistorisch allgemein eher im Beginn des Drucks verortet wird, in diese spannende Zeit, und lehrt uns gleichzeitig eine Menge über Dinge, mit denen wir täglich in der größten Selbstverständlichkeit umgehen und über die wir niemals wirklich nachgedacht haben: Bücher, Stifte und Papier. Aus der Einleitung:
"Ich richte mein Augenmerk auf einen flüchtigen, aber dennoch sehr wichtigen Moment in der Geschichte des Alphabets: den Moment, als - nach Jahrhunderten des christlichen Lesens - die Buchseite sich verwandelte; aus der Partitur für fromme Murmler wurde der optisch planmäßig gebaute Text für logisch Denkende. Nach dieser Umwandlung wurde die neue Form des buchgebundenen Lesens zur vorherrschenden Metapher für die höchste Form sozialen Handelns." (Illich, Ivan: Im Weinberg des Textes. Als das Schriftbild des Moderne entstand. Beck, 2010)

Mein zweiter Tipp ist ein wesentlich Handfesterer; "Die sizilianische Oper" von Andrea Camilleri. 

Sizilien, Ende des 19. Jahrhunderts: Das neue Theater des kleinen sizilianischen Städtchens Vigàta soll eröffnet werden, und zwar mit einer Oper des Luigi Ricci, "Der Bierbrauer von Preston"; die Entscheidung wurde im fernen Montelusa getroffen, von einem fernen Präfekten und gebürtigen Florentiner.
Die Männer von Vigàta allerdings lassen sich von exakt zwei Instanzen etwas vorschreiben: Dem lieben Gott und ihren Ehefrauen. Sie haben keine Ahnung von Musik, hassen Mozart und haben schon einmal etwas von einem "Uogner" gehört (der zu ihrem Befremden etwas über einen traurigen Arsch, nämlich "Tristan", den triste ano, geschrieben hat) aber für dieses Unterfangen wird sich auf  Bellini eingeschworen. Es ist beschlossene Sache, dass die Aufführung, wenn sie nicht verhindert werden kann, so doch gewaltig floppen sollte. Am Ende eines Opernabends, dessen Beschreibung mich jedes mal, auch nach dem zehnten Lesen, heulen lässt vor Lachen, brennt das Opernhaus und es gibt eine Leiche...
Die Sprache des Buches: deftig. Sein Tempo: rasant. Die Protagonisten: alles, nur nicht langweilig: Fanatiker, Mafiosi, lüsterne Witwen und lachende Dritte in einer atemberaubenden Szenerie. Dieses Buch lässt jeden deutschen Wintermatsch vergessen, versprochen. 




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