Dienstag, 13. Mai 2014

One of these days

Nach der Arbeit heute zu den Eltern, weil die, wie auch die Arbeit, in Düsseldorf wohnen. Das mache ich ab und an, nach der Arbeit zu den Eltern, ein Onkel kommt auch noch dazu, dann Kuchen, Kaffee, Gespräche. Tagesgeschehen, Sport, heute mal Schriftkultur im Wandel der Zeiten, Anekdoten, der Untergang des Abendlandes, in beliebiger Reihenfolge. Kluge Menschen, weite Gespräche. Gemütlich eigentlich, aber heute bin ich hibbelig, denn: morgen kommt Simson zurück, von einem Schulaustausch, die Austauschschülerin bringt sie gleich mit. Dafür muss ich noch einkaufen und Wohnung schick machen. Morgen ist auch Elternsprechtag des Himmelblauen, und ich hab immer noch keinen Termin bei der Englisch-Lehrerin, muss aber die Mädchen irgendwo abholen. (Memo an mich: Weiß noch gar nicht, wo.) Wäsche muss ich auch noch machen. Ich bin also hibbelig. Schläfrig auch, um fünf war ich raus aus dem Bett, und die Arbeit ist grade schlimmer als Ägypten und Pharao. Ich breche auf, irgendwann, früher Abend.
Auto mühsam raus aus einer verflixt kleinen Lücke, im Kopf die To Do-Liste herunterbetend. Durch die zu schmale Straße friemelnd, Gegenverkehr. Rechts abbiegen auf die Hauptstraße, an mir vorbei ein Verkehrspolizist auf Motorrad. Mir fällt mein Gurt ein, der nicht angelegte. Wenn ich mich aus Parklücken friemel, trage ich grundsätzlich keinen Gurt, ich finde, der schränkt ein beim Friemeln. An mir vorbei auf der Hauptverkehrsstraße also der Polizist auf seinem Motorrad und ich denke: 'Huch, der Gurt.' "Dat hat der nisch jesehen," raunzt jovial meine innere Entspannungsgöttin. Der Polizist plinkert mit seinem Köfferchen hinten und zeigt nach rechts. Ich schau mich noch um, aber außer mir scheint der niemanden zu meinen. Ich schnalle mich an, fahre rechts ran, Fenster runter, Motor aus, Unschuldsmiene. Die Entspannungsgöttin ist plötzlich anderweitig beschäftigt. Polizist kommt und stellt sich vor und meint, ich sei nicht angeschnallt gewesen. Das muss ich zugeben. Ich sage: "Ich bin grad erst losgefahren. Beim Ausfriemeln schnall ich mich nie an, das schränkt ein." Mir fällt mein defektes linkes Vorderlicht ein, die Entspannungsgöttin ist jetzt ganz verschwunden. Der Polizist sagt, dass er am Tag ziemlich viele Entschuldigungen hört, weswegen er aus pragmatischen Gründen dazu übergegangen sei, konsequent zu sein. Ich will ihm sagen, dass das eher als Erklärung gemeint war, ich will nicht, dass er er mich für einen StvO-Hippie hält. Ich mag Regeln, nur eben nicht beim angeschnallten Ausparken. Aber ich sage es nicht. Ich bestätige lediglich, dass es ziemlich ermüdend sein müsse, täglich so viele Ausreden anzuhören.
Er sagt: "Führerschein und Fahrzeugschein bitte." Ich gebe ihm meinen Führerschein (Aufbewahrung Geldbörse) und klappe die rechte Sonnenblende runter (Aufbewahrungsort Fahrzeugschein). Hinter der Sonnenblende: nichts. Ich klappe die linke Sonnenblende runter. Hinter Sonnenblende: mein Reisesegen. Geschenkt von der Mutter, gesegnet vom Bruder. Damit nichts schiefgeht. Ich sage dem Polizisten, dass der Fahrzeugschein irgendwie nicht da ist, wo er sein sollte, und dass ich jetzt mal meine Tochter anrufen müsse, weil die das Auto auch fährt, ('und ich den Schein  garantiert nicht vertrödelt habe' sage ich nicht, lasse ich aber unüberhörbar mitschwingen). Ich rufe die Tochter an, der Polizist schaut interessiert zu. Die Barfüßige Gräfin geht nicht dran. Ich frage mich zum ungezähltesten mal, wofür meine Kinder tragbare Telefone besitzen. Ich sage zu dem Polizisten: "Die geht nicht dran."
Der Polizist sagt, dass für die Nummer mit dem Gurt 30,00 Euro fällig werden, und für den Fahrzeugschein eigentlich nochmal ein Zehner. Ich presse durch die temporär verspannte Kiefermuskulatur, dass ich mir den Zehner garantiert zurückholen werde. Ich sage nicht, von wem, aber das kann er sich wohl denken. Er sagt, das mit dem Zehner ließe er jetzt mal sein. "Wenn Sie in Ruhe suchen in dem Auto, werden Sie den Fahrzeugschein bestimmt finden." Währenddessen lässt er den Blick durch den Fahrzeugraum schweifen, und straft seine Worte Lügen. (Memo an mich: auch Auto aufräumen.) Er wirkt irritiert.
Er bittet mich um meine EC-Karte und spricht mich, erneut auf den Führerschein schauend, mit meinem Ehenamen an, dem, den ich vor neun Jahren offiziell ablegte. Mir fällt ein, dass auf meinem sehr alten Führerschein ein anderer Nachname steht als auf meiner EC-Karte, auf der steht mein Mädchenname. Langsam bricht mir der kalte Schweiß aus.
Ich folge ihm zum Motorrad, er schiebt meine EC-Karte in sein mobiles Bezahlgerät. Noch hat er nichts gemerkt. Ich tippe meine PIN ein, wir starren beide gebannt auf das Gerät, uns wiederum starren Passanten an, um zu erkunden, welche Hasch-Trixie dieser Polizist da soeben aus dem Verkehr zog. Endlich piepst das Gerät.
"Zahlung erfolgt" liest der nette Herr vor, er klingt so erleichtert, wie ich mich fühle. Ich schätze eine gewisse Liquidität, und sei es auch in kleinem Rahmen. Ich sage: "Immer 'ne Handbreit Wasser unterm Kiel, nech?"
Er strahlt mich an: "Das müssen Sie mir als altem Segler nicht sagen."
Er hat herrlich weiße Zähne und eine schöne Gesichtsfarbe. Lachfältchen. Kinngrube. Außerdem hat er die Nummer mit dem anderen Namen nicht mitbekommen. Er gibt mir die Karte zurück und sagt, dass ich bei aller Liebe zum unbegurteten Ausparken mal dran denken solle, dass ein anderes Auto in mich reinfahren könne, "und dann...". Er bricht den Satz ab und wirkt aufrichtig besorgt. Ich will ihn fragen, ob er mich mal kurz in den Arm nehmen kann, und mir sagen, dass alles wieder gut wird. Aber auch das lasse ich mal lieber.
Stattdessen verziehe ich mich ins Auto, schnalle mich an und fahre los.
Der Verbleib des Fahrzeugscheins macht mich so unruhig, dass ich dringend erneut die Barfüßige Gräfin anrufen möchte. Mir fällt der Polizist ein und ich beschließe, dass das warten kann.
Als ich heimkomme, erbricht sich die Katze in den Flur.
Gibt es eigentlich ein Sabbatjahr für Hausfrauen?

2 Kommentare:

Ankerperlenfrau hat gesagt…

Wunderbar geschrieben, Danke!
Ich habe mich (voller Mitgefühl) amüsiert!

Charlotte hat gesagt…

Vielen Dank! :-)