Freitag, 22. August 2014

Heute hatten wir einen Besucher im Haus, einen, der sich selber eingeladen hatte.

Wir sind drei Mietparteien, kennen und mögen uns. Mein Nachbar rief mich an und sagte, er haben einen seltsamen Vogel im Keller gesehen, mit einem sehr großen Rucksack auf dem Rücken, ob das ein Besucher von mir gewesen wäre? Der sei gerade gegangen. War er nicht, ich also mal in den Keller, auf dem Weg dahin kommt Nachbar zwei gerade nach hause, er kommt mit in den Keller, Nachbar eins kommt runter, wir durchforsten die Kellerräume der beiden (der meine ist der einzig verschlossene), um zu schauen, ob etwas fehlt, und finden unerwarteterweise den seltsamen Vogel mit dem großen Rucksack, hinten im Keller von Nachbar Nummer eins.

Der seltsame Vogel ist physisch nicht gerade einschüchternd, alles zwischen 20 und 30 Jahre alt, unmöglich zu bestimmen. So lange er noch in Schockstarre ist, bitten Nachbar eins und zwei ihn um Einblick in seinen prall gefüllten Armee-Rucksack, ich rufe flott die Polizei. Am Telefon fragt die Polizei: "Halten Sie ihn fest?" Sag ich: "Er ist friedlich, aber wenn er los will, werden wir ihn sicher nicht aufhalten". Ich kehre zurück, der Vogel fragt, ob wir das ohne Polizei regeln könnten, ich bin etwas betreten und sage ihm, dass die schon auf dem Weg sei, und dass bei mir in der Wohnung schon eingebrochen wurde und ich entsprechend etwas angefressen sei, was das Thema angehe. Kurze Zeit später die Polizei, mit Blaulicht und quietschenden Reifen, alle Kinder der Nachbarschaft haben Schnappatmung vor Entzücken. Stielaugen de luxe.

Die Polizisten stürmen an mir vorbei, ich bekomme Angst um den seltsamen Vogel und sage: "Er ist friedlich, alles ist ruhig", das sehen sie dann auch, sie und der Besucher begrüßen sich quasi mit Handschlag. Man kennt sich offensichtlich.

Sie bitten ihn nach draußen vor das Haus, durchforsten seine Sachen und bitten uns, unser Hab und Gut wieder an uns zu nehmen. Von mir ist nichts dabei, die beiden anderen nehmen ihren Kram. Nachbar Nummer zwei ist sauer. Er schaut den Vogel an und sagt: "Ich steh jeden Morgen auf und gehe arbeiten." Nachbar Nummer eins ist gelassen, er werde keine Anzeige machen, sagt er direkt, er habe seinen Kram ja wieder. Verstehen kann ich beide.

Es taucht eine Gaspistole auf, geladen. Die Polizisten schießen dem Vogel Blicke zu. Der sagt: "Die ist defekt, da, der Hahn, der ist abgebrochen." Es taucht ein Messer auf, rostig und klapprig, Schrott, aber ein Klappmesser, der eine Polizist wirft es zwei Meter weit weg von unserer bunten Gruppe, und der Vogel fängt an zu heulen. So richtig, mit Tränen und schniefen. Jetzt bin ich etwas fassungslos. Er sagt, bei ihm sei eingebrochen worden, man habe ihm die Tür eingetreten und alles geklaut. "Das ist Karma," bescheinigt ihm einer der beiden Polizisten. Der Vogel kriegt Handschellen an, das merke ich aber erst später, der eine der beiden Polizisten hat sich mit ihm dafür diskret um die Hausecke verzogen.

Die beiden Polizisten schütteln die ganze Zeit den Kopf, sind freundlich, aber auch auf eine Art ironisch distanziert. Sie sagen ihm später: "Du weißt, was das bedeutet?" Dann sagen sie ein, zwei Abkürzungen, die mir nichts sagen, dem Vogel aber schon, er heult noch mehr, es hat etwas mit dem Gericht zu tun, das habe ich verstanden. Seine Jeans ist ihm zu groß, der Reißverschluss kaputt, der Typ ist ausgemergelt, kaputt. Ich will beides, ihn an der Gurgel packen und anfluchen, und ihn mit reinnehmen und ihm einen Teller Linsensuppe vorsetzten.

Ich frage ihn, ob ich ihn fragen dürfe, wie er reingekommen sei, so zur Einbruchsprävention. Er erklärt, dass die Haustür zwar zu war, aber das Schloss nicht ganz eingeschnappt. Ich wusste es! Vor unserer Haustür liegt immer feiner Schotter, der setzt sich zwischen Haustür und Flurboden, und diese verdammte Tür schließt nicht richtig. Ich bedanke mich und mache ein Gedanken-Memo an unseren Vermieter. Eigentlich hätte ich ihn gerne noch einiges mehr gefragt, aber die Polizisten wollen aufbrechen. Sie fragen ihn noch, wo er den Armee-Rucksack her habe. Der Vogel strafft den Rücken, sagt: "Der gehört mir", die Polizisten meinen, den gebe es nur beim Bund, "Haben Sie gedient?", fragen sie. "Nicht selber", sagt der Vogel, seine Restwürde zusammenkramend. Ich müsste eigentlich kichern und möchte fragen: "Lassen Sie dienen?", aber das unterlasse ich. Die Polizisten schütteln ein letztes Mal den Kopf und brechen auf.

Als sie ihn an uns vorbei zu ihrem Auto bringen, schaut er mich an und sagt: "Entschuldigung", ich sage: "Ist ja nichts passiert", aber ich weiß, dass er die nächste Möglichkeit, in einen Keller einzusteigen, wieder nutzen wird. Dass dies nur eine Episode ist für ihn. Dass die größte Reue, die er empfindet, mit seinem neuen Ungemach mit den vielen Abkürzungen und dem Gericht zu tun hat. Dass er nichts mehr mitbekommt, was auch nur einen Millimeter außerhalb seines unmittelbaren Bedürfniskreises passiert. Dass er vermutlich noch nie in seinem Leben Verantwortung übernommen hat. Und dass Drogen einfach scheiße sind. 

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