Sonne

Die Sonne ist wieder da. Das erste mal sind wir auf dem Balkon, Simson und ich. Sie macht Hausaufgaben, ich bin mit den Pflichten durch. Die Sonne ist wieder da. Jedes Jahr wieder kommt doch das neue Aufwachen. Immer an dem Punkt, an dem ich kaum noch dran glauben möchte.

Simson muss ein Gedicht interpretieren, sie verzweifelt an der Strophe:

"Felsen wachsen, Ströme gleiten,
und der Tau fällt unverletzt.
Und Dir ist von Ewigkeiten
Rast und Wanderbahn gesetzt."

Sie will Erklärung, jetzt verzweifle ich mit. Es gibt Verstehen ohne Erklärenkönnen, die Lektion muss sie jetzt noch zusätzlich lernen, ich bin raus aus der Nummer.

Ich persönlich sinke etwas in die Ewigkeiten. Ich überlege, die Diavolezza zu machen. Das hat unsere Großmutter früher mit uns getan, vor Ewigkeiten. Sie, eine andere Generation, lebte nach dem Motto: "Wer gebräunt, der gesund.", weshalb sie meinen Bruder und mich in unseren gemeinsamen Ski-Urlauben regelmäßig in Decken wickelte wie russische Neugeborene, die totale Bewegungsunfähigkeit, und uns auf der Diavolezza in einem Liegestuhl der gleißenden Sonne des Engadin aussetzte, auf dass das Gesicht Farbe annehme. Ich glaube, das ist ein guter Plan. Schlummern im Liegestuhl. Sonne im Gesicht. Ja. Sonne.

Ich wünsche ein wundervolles Wochenende.