Sonntag, 4. Februar 2018

Auf Arbeit

Ich sehe ein Photo von Dir und dem kleinen Kumpel. Es war ein Sommertag gewesen. Der Kleine hatte Faxen gemacht und Du ihn dabei gefilmt. Hier, auf dem Photo, sitzt Du in einem Gartenstuhl, der Kumpel hängt über der Armlehne. Er schaut lachend auf das Display der Kamera in Deinem Schoß, und über seinen Kopf hinweg schaust Du jemanden an und lachst aus vollem Herzen. Es ist ein wirkliches, echtes Lachen voller Freude. Vielleicht berührt es mich so, weil Du dabei jemandem in die Augen schaust, im Kontakt bist. Man sieht den Sommer auf dem Bild, alles scheint leicht.
Hier und jetzt, im Winter, konjugieren die kleinen Unglücklichen um mich herum Verben, lernen, was Präteritum ist und Futur II. Es ist still. Ich schaue wieder auf Dein lachendes Gesicht.
Ich hatte geliebt, ich habe geliebt, ich liebte, ich liebe, ich werde lieben, ich werde geliebt haben.
Der Wind drückt den Regen an die Fenster, es prasselt, dahinter wiegen sich kahle Äste. Ich habe meinen Mantel im Auto gelassen, gleich muss ich da raus.
Meine Seele konjugiert jetzt still mit, ich hatte den Sommer erlebt, ich habe den Sommer erlebt, ich erlebte den Sommer, ich erlebe den Sommer, ich werde den Sommer erleben, ich werde den Sommer erlebt haben.
Ich sinke zurück in vergangenes Sommererleben. Ein Gefühl ist plötzlich ganz präsent, ich sitze an einem Sommerabend im Auto, jemand fährt, ich lehne den Kopf gegen die Scheibe und schaue träge den vorbeifliegenden Bäumen zu, hinter ihnen glitzert eine tiefstehende Sonne. Ein Luftzug bewegt meine Haare. Schwer und müde von der Hitze bin ich, mein Körper ist zufrieden, und ich lasse den Tag nachklingen. Ich bin wunschlos, ungeteilt. Das kann ich jetzt spüren, im Winter. Kein Bedarf für ein Präteritum. Doch dann, jetzt im Winter, fällt mir ein, dass an einem zukünftigen Sommertag wieder dieser eine Gedanke kommen könnte, der sich in letzter Zeit häufiger einschleicht. Dass das alles einmal vorbei sein wird, dass ich sterben kann, dass ich sterben werde. Es könnte an einem zukünftigen Sommerabend träge das Glück durch mich hindurchfließen, und dann ist er da, der Gedanke.
Ich war gestorben, ich bin gestorben, ich starb, ich sterbe, ich werde sterben, ich werde gestorben sein. Jetzt, in diesem Winter, erfüllt der Gedanke an meinen Tod mich mit diffusem Grauen, die Unfassbarkeit des Gedankens, dass mein Bewusstsein eines Tages erlöschen wird, dass eine Welt untergehen wird, mein Universum enden wird. Die Wucht macht mir Angst. Aber in der Zukunft, im Futur, an diesem kommenden Sommerabend, wird mich der Gedanke mit Wut und Hilflosigkeit erfüllen, das weiß ich. Mit Empörung darüber, dass dieses Sommererleben jemals enden wird. Dass dieses Leben enden wird.
Ich hatte mich empört, ich habe mich empört, ich empörte mich, ich empöre mich, ich werde mich empören, ich werde mich empört haben.
Ich rutsche durch die Zeiten, und jede Zeit berührt sich, so etwas müssen die Physiker meinen, die Entwürfe eines Universums zeigen, das ich nicht verstehe. Alles berührt sich. Alle Zeiten laufen nebeneinander.
Es gibt sie nicht wirklich, die Zeit. Auch, wenn die Kleinen um mich herum sie beugen müssen. 
Die Ärmsten.

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