Freitag, 9. März 2018

Ich fahre zum Recyclinghof, im Auto große Mülltüten mit Farbresten, Wandverputz, Bauschaumwürsten und alten Kabeln. Nichts für den Hausmüll also. Wenn man beim Recyclinghof auffährt, legt man als erstes bei einem der Mitarbeiter Rechenschaft ab über die Natur der zu entsorgenden Dinge. In meinem Fall zum Beispiel ist die Entsorgung kostenpflichtig. Ich hatte länger über meinen ersten Satz nachgedacht, den ich dem Mitarbeiter sagen wollte. So ein  erster Satz ist nicht unwichtig, er stellt eine Eröffnung dar, er ist grundlegend für den ganzen weiteren Verlauf unserer Geschäftsbeziehung. Mein Satz muss eindeutig sein, um nicht missverstanden zu werden, aber offen genug, damit der Mitarbeiter sich nicht bevormundet fühlt. Der Satz soll sagen, „Hier bin ich, vernunftbegabte Bürgerin unserer schönen Stadt, verantwortungsbewusst. Ich respektiere Euren Job und glaube an die Sinnhaftigkeit dieser Einrichtung. Hier bin ich, Feindin der Müll-Anarchie und zahlende Kundin. Was bin ich Ihnen schuldig, guter Mann? Wohin mit meinem Schutt?“ Dennoch darf er nicht meine Unsicherheiten durchsickern lassen: Wie viel wird der Spaß kosten? Darf ich wirklich alles entsorgen? Werden sie meine Mülltüten filzen und Dinge finden, die dort nicht hineingehören? Was wäre die Konsequenz? Lebenslange Sperrmüllsperre? Soziale Ächtung? Es ist schwierig. Ich stehe in einer Warteschlange von Autos, die Fahrer vor mir verhandeln mit dem Mitarbeiter das zukünftige Schicksal ihres Mülls. Die Warteschlange ist lang genug für mich, um meinen Eröffnungssatz gedanklich zu perfektionieren, und kurz genug, um nicht ernsthaft ungeduldig zu werden. Eine Zigarettenlänge, ziemlich genau.
Ich fahre vor bei einem jovial aussehenden Mitarbeiter. Er trägt eine Müllmannweste, Bommelmütze und Vollbart. Ein kleiner, runder Mann mit lustigen Augen. Ich fühle mich sicher. Ich betätige den elektrischen Fensterheber, lasse das Fenster herab, fixiere seine blauen Augen, bin freundlich, aber nicht anbiedernd, gelassen, aber nicht herablassend,  und heraus lasse ich das Produkt meines langen Grübelns, die in meiner Einschätzung optimale Eröffnung, den perfekten Einstieg in die zu folgende Transaktion:
„Ich habe renoviert.“, spreche ich zu ihm. Etwas würdig. Etwas entschlossen. Ich schweige und überlasse ihm den nächsten Schritt.
Seine Reaktion verwirrt mich.
„Ja, warum machen ˋse denn auch sowat?!“, brüllt er mich an. Dann lacht er.
Von hinten ruft sein Kollege: „Wenn ˋse getz wissen, wie dat geht, können ˋse bei mir weitermachen! Ich zahl´ auch schlecht!“
Die beiden beömmeln sich ausgiebig.
Ich frage mich, ob ich bei meiner Entscheidung für den optimalen Gesprächseinstieg einer Fehleinschätzung unterlegen bin.
Der Rest läuft komplikationslos, die Gebühr liegt weit unter meinen Erwartungen.

Auf der Rückfahrt beschließe ich, mal wieder, dass ich das Ruhrgebiet mag.

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