Die Schlange vor dem Pfandautomaten, erinnert sich noch der Eine oder Andere? Komische Leute, kleine Mäuschen? Dieser Laden mit dem Pfandautomaten ist magic. Da erlebe ich seit über zehn Jahren die seltsamsten Dinge. Ich sag nur: "Natur oder im Golddarm?" Oder der SMler. Oder die Rouladen-Oma. Aber das sind andere Geschichten.
Heute war ich wieder da, Altflaschenzeugs wegbringen, vor mir eine kurze Schlange. Ganz vorne füttert ein Mann den Automaten, eine Flasche nach der anderen; der Mann hat eine Plastiktüte umhängen, in der sind viele Flaschen, neben sich einen geleerten Kasten Bier, auf dem Kasten eine Tüte voll mit Pfandflaschen, um sich herum weitere drei Tüten mit Pfandzeugs. Und wissen Sie, was ich immer denke, wenn ich so Leute mit viel Altflaschenzeugs vor mir sehe? "Schlampe", denk ich dann (auch bei Männern), "Schlampe. Zu faul, regelmäßig dat Zeuch mal rauszutragen. Oder am besten noch irgendwo einsammeln, die Flaschen, für die paar Fennich. Ne Schande ist das." So denk ich dann. Ausser, wenn ich da vorne in der Schlange steh und den Automaten mit 500 Flaschen füttere und die Blicke der hinter mir stehenden mir Löcher in den Pulli brennen. Dann denk ich mir nämlich: "Starrt ihr nur, ihr Loser, hat halt nicht jeder Zeit, mit jeder geleerten Pulle gleich in den Laden zu rennen, es gibt auch noch Leute, die arbeiten und dem Staat nebenher auch noch ein paar Steuerzahler erziehen. Und ich geb hier nur Wasser zurück, wenns einen interessieren sollte. Für Bier hab ich nun wirklich keine Zeit." So denk ich dann, wenn ich vorne stehe.
Aber heute steh ich in der Schlange und brenne folgerichtig kleine Wutstarrlöcher in das rückwärtige Sakko des Vorderen. Zusammen mit dem Rest der Wartenden starre ich und verbreite Unmut. Der Vordere scheint das langsam zu merken, und er knickt ein; da, wo die Schnur der Tüte sich quer über seinen Rücken zieht, färbt sich das Sakko langsam dunkel, dem Typen läuft der Streßschweiß literweise den Körper runter. Er wird immer fahriger, und irgendwann drückt er entnervt auf den Bonausdruckknopf, er bricht ab und lädt den nächsten in der Schlange vor, mit einer resignierten Handbewegung.
An dem Punkt war ich schon echt peinlich berührt, weil der Typ so komisch war. Der trug grauenhafte Klamotten, und alles in Grautönen, ein graues Sakko, ein graugemustertes Hemd aus den 80ern, eine graue Hose. Eindeutig ein bereits oder demnächst den Fängen der Gesellschaft Entronnener, der sich in ca. drei Jahren auch keine Sorgen mehr um seine Miete machen muss. Und dennoch... Ihn umwehte, neben abgestandenem Bier, eine seltsame Aura. Rein vom Gesicht und Ausdruck her hätte er ein Wissenschaftler vom nahegelegenen Max-Planck-Institut sein können. Aber der Gestank und die Klamotten sprachen eine andere Sprache.
Ich also noch am hin- und herschwanken, was ich von dem Vogel eigentlich halten soll, der die ganze Zeit seine Tüten in gespielter Geschäftigkeit umherschiebt und murmelt, weil ihm das ganze so furchtbar peinlich ist, und dabei ab und an eine Tüte umschubst, was ein lautes Geklirr verursacht, was ihm dann noch tausend mal peinlicher ist, ich bin also hin- und hergerissen, als es geschieht: Der Mann zieht ein Stofftaschentuch raus (grau), was mich nicht verwundert, denn sein Gesicht ist von dem ganzen Streß und der Peinlichkeit klatschnass, aber er wischt sich nicht die Stirne, sondern er preßt sich das Taschetuch vor den Mund und starrt auf das Tütenmalheur, und für eine schreckliche Sekunde sieht er nicht aus wie ein Mann, der sich noch daran gewöhnen muss, ein Penner zu sein, sondern er ist original eine russische Fürstin, die an einem kalten Wintertag im Jahr 1917 einen letzen Blick auf ihr zerstörtes Palais wirft, bevor sie Rußland den Rücken kehren wird und nach Rumänien gehen oder an die Côte d'Azur. Eine Geste voll Verlorenheit und Verzweiflung, so echt, dass ich wieder den Blick abwende, diesmal nicht wegen der Peinlichkeit, sondern aus Achtung. Ehrlich jetzt. Ernst.
Aber jetzt kommts: Als ich nochmal hingucke, mir den Knaben nochmal anschauen will, da sehe ich, dass sein Taschentuch, dieses Requisit seiner ganz, ganz großen Geste, ein alter Tennissocken ist! Hat man noch Worte? Wischt der sich mit einem alten, verschossenen Tennissocken (Fila, glaub ich) das Gesicht ab, und verbreitet dabei eine solche Grandezza.
Mir war der Tag gerettet, aber voll.
4 Kommentare:
Pfandflaschen?
yo. pfandflaschen.
Mist. Alles war so schön. Bis zum Tennissocken. Da verwandelte sich vor meinem inneren Auge die russische Fürstin in einen ballonseidenumhüllten Stiernacken, der irgendwo in einer Werkshalle eines sich langsam an die Natur zurückgebenden Industriegebiets verloren und verzweifelt auf seinen Bullterrier starrt, der soeben in einem illegalen Hundekampf der Unterlegene war und Herrchen nun aus blutigen Lefzen sein Adieu entgegenfiepst.
Tennissocken... Also echt!
Der Typ hats drauf gehabt. Egal ob Tennissocken oder Damast, glaubs mir.
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