Dienstag, 18. Dezember 2012

Es wird mir fehlen

Der vorletzte Arbeitstag, heute, vorsichtshalber gehe ich mich verabschieden von der Kantinenfrau. Keine Ahnung, ob ich noch dazu komme. Wir verstehen uns, unseren Handel, unseren kleinen Deal. Ich sorge dafür, dass, wenn die Kinder wieder abgezogen sind, die Stühle ordentlich an die Tische geschoben sind und das Essen nicht unter der Decke klebt und die Sprudelflaschen wieder in den Kästen sind. Außerdem fungiere ich als go between zwischen der Kantinenlady und der Schulleitung. Ruhrgebiet. Da kann die nich so mit, mit der Schulleitung und der Sekretärin, die Kantinenlady. Die Frau Müller schon. Dafür kriegt die Frau Müller einen Teller warmes Essen, auch, wennse keine Marke abgegeben hat, und wenn die Kinder dann sitzen, verstohlener Blick, wollense auch wat?, ich sag, ja klar, erleichtert, meistens das erste, was ich am Tag esse, um vierzehn Uhr. Das wird mir fehlen, das gutmütige und etwas kühne wollense auch wat? Ich sitz dann bei den Kindern und lass sie reden und essen und beachte sie nicht und sie beachten mich nicht, nur manchmal, wenn einer oder eine kühne Dinge sagt über einen Lehrer oder sonstige häretische Dinge, oder wer in wen verknallt ist, dann rummst ihn oder sie jemand in die Seite und deutet mit dem Kinn auf mich, und sie beugen gemeinsam kichernd ihre Gesichter über die Teller, ich sitz unter ihnen und esse und höre ihnen zu und fühle mich von der Stimmung gepolstert, irgendwie, manchmal sprechen sie mich an, ey, Sie haben das gleiche Handy wie ich, wir fachsimpeln dann etwas über Smartphones, die wir gerne hätten, ein, zwei Angeber wissen natürlich alles besser und haben drei Smartphones zuhause, wir Realisten werfen uns dann Realistenblicke zu, heimlich. Manchmal sprechen wir auch über Sport, ihre Vereine, ihre Sportart, über die Bundesliga, ich bin mit meiner Fortuna Exotin, der Rest verteilt sich zu Dritteln auf Schalke, den BVB und Bayern München, häufig muss ich Hohn ertragen. Es wird mir fehlen. Heute gehe zur Kantinenfrau, um einen Nachschlag zu holen, das habe ich noch nie gemacht, aber es hat geschmeckt und irgendwie will ich noch nicht weg, ich stelle mich vor meine Kantinenlady wie Oliver Twist mit dem Napf, please, Sir, may I have some more, aber ich ernte nicht Entrüstung und Abscheu. Ich frage, ist noch was da von der Gemüselasagne, und sie ruft kumma!, aufgewühlt, und reißt den Deckel von einer komplett mit Gemüselasagne angefüllten Schale, kumma!, wir duzen uns nicht, aber das Ruhrgebiet geht mit ihr durch, weil die Nahrung, die nicht gegessen wird, weggeworfen werden muss, also bekomme ich einen dicken Nachschlag, es wird mir fehlen.
Die vielen Kinder, die Kleinen, die wissen, dass sie klein sind, und die Abiturienten, die für mich auch noch etwas klein sind, aber auch groß, in den letzten Tagen sind wir alle zusammengerückt, weil ich gehen werde, die Stimmung hat sich verändert, die Abiturienten knien sich in ihre Aufgabe, und wenn es nichts zu erklären gibt, den Kleinen, dann dudeln sie halt Quickstep und Walzer aus ihren Iphones und bringen den kichernden Sechstklässlerinnen den Standard-Tanz bei, dann, später, tanzen zwei Abiturienten zusammen, Mädchen und Junge, ergreifen auf einmal den ganzen Raum und uns Zuschauer, sie tanzen richtig und sind so freudig und die kleinen Mädels sind ergriffen und starren verzückt, es wird mir fehlen. Einer der Abiturienten, der boxt, der hat es nicht so mit dem Tanz, der macht einen astreinen Handstand für die quietschenden Kleinen, ich sitze die ganze Zeit am Tisch und schau ihnen nur zu, und weiß, dass es mir sehr fehlen wird. 
Hilft ja nix. Aber es wird mir fehlen.

2 Kommentare:

Jutti hat gesagt…

Ach Charlotte,
alles hat seine Zeit...

Charlotte hat gesagt…

Das ist sehr wahr.
Wüssten wir nicht, dass ich ginge, wäre die Stimmung nicht die, die sie ist. Manchmal muss man weiterziehen, und dann ist es schön zu sehen, dass es irgendwie gut war, was vorher war.