Ich träume, etwas Wüstes und auch Anstrengendes, ein langer
Traum, ich bin in einem großen schlossähnlichen Bau, alles Hogwarts irgendwie,
viele Menschen, ich renne viel und rede, irgendwann wache ich auf, weil Du mich
sanft in die Seite drückst, ich habe wohl etwas geschnarcht. Ich bin
zerschlagen und unruhig.
Morgengrauen, in mir, draußen ist es dunkel.
Ich trinke Wasser, bin ratlos, gehe ins Bad, Härchen zupfen.
Ich rechne. Wie lange es wohl dauert, bis die letzte Erinnerung eines lebenden
Menschen an mich mit diesem Menschen gestorben sein wird. Meine Oma war
Jahrgang 1918, ich werde noch eine Weile leben, und ich erinnere sie gut. Aber
werden meine Kinder jemals Kinder bekommen? Wenn nein, dann kann es sein, dass
bereits um das Jahr 2080 herum es niemanden mehr gibt, der überhaupt weiß, dass
ich mal existiert habe, oder zumindest mich als lebenden Menschen gekannt hat.
Der Sand, der Stundensand, er rieselt nicht im Glas, er weht durch die Gegend,
und trifft er auf etwas Lebloses, dann beginnt er, sich zu anzuhäufen, und
schließlich sind wir verschwunden, sind die Dinge verschwunden. Dann hat er uns
und alles für immer zugedeckt und begraben, der Stundensand. Ist ok so.
Gewöhnungsbedürftig vielleicht, aber ok.
Ich lege mich wieder ins Bett und fühle mich verloren.
Schiebe vorsichtig meine Hand unter Deine Decke, da ist
Deine Wärme. Du liegst auf der Seite, den Rücken mir zugewandt. Ich beschließe,
Dich wachzustarren, das perfekte Verbrechen, keine Spuren, keine
Fingerabdrücke, keine Tatwaffe. Ich werde Dich wachstarren, und Du wirst Dich zu
mir umdrehen, mich wie immer mit einem unbeschreiblich warmen Laut an Dich ziehen und
Dein Gesicht an mir vergraben, Deine Hände breit gefächert auf meinem Rücken.
Ich werde Dich umarmen und Kleinigkeiten in Dein Haar flüstern, bis Du wieder
verschwindest, um weiterzuschlafen. Meine Augen brennen Dir jetzt kleine Löcher
in den Hinterkopf, aber Du wachst nicht auf.
Schließlich schlafe ich wieder ein und träume, wir sind zu
Besuch bei einem lauten Paar, das wohnt auch in einem großen Haus, aber
dieses Mal ist es ein unheimlicher Traum, mit diesem Haus stimmt etwas nicht,
etwas ist hier, mir lauert ein leises Grauen im Nacken, das nur darauf wartet,
mich einzufrieren. Das Gastgeberehepaar ist seltsam, er ist ein Osmin, der
Tagebuch führt über jede Stunde Beziehung zu seiner Frau, er wirft uns beiden
gerade vor, eine lose, oberflächliche Beziehung zu führen, weil wir uns nicht
gegenseitig im Namen der Liebe ständig kontrollieren. Er hat eine Glatze,
falsche, schweißverrutschte Wimpern, in den Ohren große Creolen. Er ist mir zu
dumm, ich stehe auf und gehe in die Küche um etwas zu trinken. Links schließt
sich zügig eine Tür, rechts von mir steht gerade meine älteste Tochter am
Kühlschrank, in Nachtkleidung. Ich weiß sofort, dass niemand diese Zimmertür
geschlossen haben kann, da sich alle Hausbewohner im Augenblick außerhalb des
Raumes befinden. So fangen meine schlimmen Träume immer an, mit Türen, die von
unsichtbarer Hand geschlossen werden, ich frage also meine Tochter panisch, wer
denn bitte die Tür geschlossen habe?! Sie weiß es, ist aber zu genervt für eine
Antwort. Stattdessen greift unter meine Achseln, hebt mich spielend
leicht hoch und trägt mich, mein Gesicht in ihre Blickrichtung gewendet, zügig
in das Zimmer. Dort ist der Sohn unserer Gastgeber, auch er ein kleiner
Unsympath, der, als er mich sieht, ins Dunkle flieht. Die unheimliche Präsenz,
die dieses Haus bewohnt, hat den Kopf des Gastgebersohns auf groteske und
leider auch ziemlich witzige Weise anschwellen lassen, großgezaubert, er sieht
aus wie ein gigantischer, auf der Seite liegender Football. Geschieht ihm
Recht, dem großspurigen Gastgeber, ich wache dieses mal eigenständig auf, vor
Lachen.
Du hast Dich mir jetzt zugewendet jetzt, schläfst aber
immer noch. Ich fahre mit meinen Augen die vertrauten und schönen Linien ab,
die Deiner oberen Gesichtshälfte, Deines Haaransatzes, Deines Ohrs und des
Arms. Die schmale Hand auf dem Kissen, der Handteller nach oben gerichtet, die
Finger bilden einen Kranz, lose geöffnet, leicht, wie die Blütenblätter einer
Tulpe kurz vor dem Verblühen. Nebenher versuche ich ein bisschen, Dich
wachzustarren. Vergeblich.
Ich schlafe irgendwann wieder ein und träume, dass ich in
einem Hotel einen Killer beobachte, wie er einen Agenten umbringt, er erstickt
ihn mit einem Kissen. Ich informiere das Personal und beschließe, mich vom
Acker zu machen, denn ich bin mitten in einem Thriller und der Killer weiß,
dass ich ihn gesehen habe. Ich springe vom Hotel aus ins Meer und will zur
nächsten Insel schwimmen, ich bin auf den Bahamas und das Wetter ist ein Traum.
Im Wasser neben mir ist plötzlich eine Transfrau, sie trainiert in einem
weißen, baumwollenen Dameneinteiler der Bundeswehr, der am Rücken keck
ausgeschnitten ist und den am Ärmel der Bundesadler und Schwarzrotgold ziert.
Ich muss jetzt schon kichern, die Transfrau ist heute ein Running Gag in meinen
Träumen, ihr passieren immer lustige Dinge. Wegen ihrer Brille und ihres
kleinen Schnurrbärtchens wird die Offizierstransfrau irrtümlich für den Killer
gehalten und von Bahamas-Polizisten unsanft aus dem Wasser gefischt. Ihre
Empörung ist gerecht. Wir sitzen dann auf einmal auf einem Kahn, die
Offizierstransfrau, mein Bruder, Rachel Weisz und ich. Rachel Weisz trägt ein
schwarzes, enges Kleid und einen breitkrempigen Hut, das Setting ist "Tod
auf dem Nil", und Rachel Weisz gibt gerade unerträglich an, wir mögen sie
alle entschieden nicht. Mein Bruder hat eben im Gespräch seinen Abiturschnitt
ganz schön nach oben korrigiert, jetzt bin ich dran und muss entweder auch
lügen oder dastehen wie der letzte Trottel, Rachel hat natürlich einen
Einserdurchschnitt. Die einzig unbeeindruckte ist die Offizierstransfrau, aber
ich habe nicht ihr Standing, es ist mir zu doof und ich wache auf.
Jetzt ist es viertel vor neun und Du schläfst immer noch.
Ich frage mich gerade, ob ich das Wachstarren für heute aufgebe und umsteige
auf Deine elektrische Kaffeemühle, die macht so herrlichen Lärm. Da ruft Deine
Mutter an. Sie spricht auf den Anrufbeantworter, laut, energetisch. Du wachst
auf, hörst ihr zu, müde lächelnd. Als sie fertig ist, reibst Du Dir die Augen,
siehst mich an und fragst: "Soll ich Kaffee kochen?"
Och. Wenn Du mich so fragst...
2 Kommentare:
Erstens: Um wie viel habe ich meinen Abi-Durchschnitt nach oben korrigiert?
Zweitens: Schön, daß Du wieder schreibst!
Ich weiß nicht mehr, aber deftig... *schepper*
Danke Dir, Bruderherz!
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