Sonntag, 3. April 2016

Ich träume, etwas Wüstes und auch Anstrengendes, ein langer Traum, ich bin in einem großen schlossähnlichen Bau, alles Hogwarts irgendwie, viele Menschen, ich renne viel und rede, irgendwann wache ich auf, weil Du mich sanft in die Seite drückst, ich habe wohl etwas geschnarcht. Ich bin zerschlagen und unruhig.

Morgengrauen, in mir, draußen ist es dunkel.

Ich trinke Wasser, bin ratlos, gehe ins Bad, Härchen zupfen. Ich rechne. Wie lange es wohl dauert, bis die letzte Erinnerung eines lebenden Menschen an mich mit diesem Menschen gestorben sein wird. Meine Oma war Jahrgang 1918, ich werde noch eine Weile leben, und ich erinnere sie gut. Aber werden meine Kinder jemals Kinder bekommen? Wenn nein, dann kann es sein, dass bereits um das Jahr 2080 herum es niemanden mehr gibt, der überhaupt weiß, dass ich mal existiert habe, oder zumindest mich als lebenden Menschen gekannt hat. Der Sand, der Stundensand, er rieselt nicht im Glas, er weht durch die Gegend, und trifft er auf etwas Lebloses, dann beginnt er, sich zu anzuhäufen, und schließlich sind wir verschwunden, sind die Dinge verschwunden. Dann hat er uns und alles für immer zugedeckt und begraben, der Stundensand. Ist ok so. Gewöhnungsbedürftig vielleicht, aber ok.

Ich lege mich wieder ins Bett und fühle mich verloren.
Schiebe vorsichtig meine Hand unter Deine Decke, da ist Deine Wärme. Du liegst auf der Seite, den Rücken mir zugewandt. Ich beschließe, Dich wachzustarren, das perfekte Verbrechen, keine Spuren, keine Fingerabdrücke, keine Tatwaffe. Ich werde Dich wachstarren, und Du wirst Dich zu mir umdrehen, mich wie immer mit einem unbeschreiblich warmen Laut an Dich ziehen und Dein Gesicht an mir vergraben, Deine Hände breit gefächert auf meinem Rücken. Ich werde Dich umarmen und Kleinigkeiten in Dein Haar flüstern, bis Du wieder verschwindest, um weiterzuschlafen. Meine Augen brennen Dir jetzt kleine Löcher in den Hinterkopf, aber Du wachst nicht auf.

Schließlich schlafe ich wieder ein und träume, wir sind zu Besuch bei einem lauten Paar, das wohnt auch in einem großen Haus, aber dieses Mal ist es ein unheimlicher Traum, mit diesem Haus stimmt etwas nicht, etwas ist hier, mir lauert ein leises Grauen im Nacken, das nur darauf wartet, mich einzufrieren. Das Gastgeberehepaar ist seltsam, er ist ein Osmin, der Tagebuch führt über jede Stunde Beziehung zu seiner Frau, er wirft uns beiden gerade vor, eine lose, oberflächliche Beziehung zu führen, weil wir uns nicht gegenseitig im Namen der Liebe ständig kontrollieren. Er hat eine Glatze, falsche, schweißverrutschte Wimpern, in den Ohren große Creolen. Er ist mir zu dumm, ich stehe auf und gehe in die Küche um etwas zu trinken. Links schließt sich zügig eine Tür, rechts von mir steht gerade meine älteste Tochter am Kühlschrank, in Nachtkleidung. Ich weiß sofort, dass niemand diese Zimmertür geschlossen haben kann, da sich alle Hausbewohner im Augenblick außerhalb des Raumes befinden. So fangen meine schlimmen Träume immer an, mit Türen, die von unsichtbarer Hand geschlossen werden, ich frage also meine Tochter panisch, wer denn bitte die Tür geschlossen habe?! Sie weiß es, ist aber zu genervt für eine Antwort. Stattdessen greift unter meine  Achseln, hebt mich spielend leicht hoch und trägt mich, mein Gesicht in ihre Blickrichtung gewendet, zügig in das Zimmer. Dort ist der Sohn unserer Gastgeber, auch er ein kleiner Unsympath, der, als er mich sieht, ins Dunkle flieht. Die unheimliche Präsenz, die dieses Haus bewohnt, hat den Kopf des Gastgebersohns auf groteske und leider auch ziemlich witzige Weise anschwellen lassen, großgezaubert, er sieht aus wie ein gigantischer, auf der Seite liegender Football. Geschieht ihm Recht, dem großspurigen Gastgeber, ich wache dieses mal eigenständig auf, vor Lachen.


Du hast Dich mir jetzt zugewendet jetzt, schläfst aber immer noch. Ich fahre mit meinen Augen die vertrauten und schönen Linien ab, die Deiner oberen Gesichtshälfte, Deines Haaransatzes, Deines Ohrs und des Arms. Die schmale Hand auf dem Kissen, der Handteller nach oben gerichtet, die Finger bilden einen Kranz, lose geöffnet, leicht, wie die Blütenblätter einer Tulpe kurz vor dem Verblühen. Nebenher versuche ich ein bisschen, Dich wachzustarren. Vergeblich.

Ich schlafe irgendwann wieder ein und träume, dass ich in einem Hotel einen Killer beobachte, wie er einen Agenten umbringt, er erstickt ihn mit einem Kissen. Ich informiere das Personal und beschließe, mich vom Acker zu machen, denn ich bin mitten in einem Thriller und der Killer weiß, dass ich ihn gesehen habe. Ich springe vom Hotel aus ins Meer und will zur nächsten Insel schwimmen, ich bin auf den Bahamas und das Wetter ist ein Traum. Im Wasser neben mir ist plötzlich eine Transfrau, sie trainiert in einem weißen, baumwollenen Dameneinteiler der Bundeswehr, der am Rücken keck ausgeschnitten ist und den am Ärmel der Bundesadler und Schwarzrotgold ziert. Ich muss jetzt schon kichern, die Transfrau ist heute ein Running Gag in meinen Träumen, ihr passieren immer lustige Dinge. Wegen ihrer Brille und ihres kleinen Schnurrbärtchens wird die Offizierstransfrau irrtümlich für den Killer gehalten und von Bahamas-Polizisten unsanft aus dem Wasser gefischt. Ihre Empörung ist gerecht. Wir sitzen dann auf einmal auf einem Kahn, die Offizierstransfrau, mein Bruder, Rachel Weisz und ich. Rachel Weisz trägt ein schwarzes, enges Kleid und einen breitkrempigen Hut, das Setting ist "Tod auf dem Nil", und Rachel Weisz gibt gerade unerträglich an, wir mögen sie alle entschieden nicht. Mein Bruder hat eben im Gespräch seinen Abiturschnitt ganz schön nach oben korrigiert, jetzt bin ich dran und muss entweder auch lügen oder dastehen wie der letzte Trottel, Rachel hat natürlich einen Einserdurchschnitt. Die einzig unbeeindruckte ist die Offizierstransfrau, aber ich habe nicht ihr Standing, es ist mir zu doof und ich wache auf.

Jetzt ist es viertel vor neun und Du schläfst immer noch. Ich frage mich gerade, ob ich das Wachstarren für heute aufgebe und umsteige auf Deine elektrische Kaffeemühle, die macht so herrlichen Lärm. Da ruft Deine Mutter an. Sie spricht auf den Anrufbeantworter, laut, energetisch. Du wachst auf, hörst ihr zu, müde lächelnd. Als sie fertig ist, reibst Du Dir die Augen, siehst mich an und fragst: "Soll ich Kaffee kochen?"

Och. Wenn Du mich so fragst...

2 Kommentare:

Der Herr Alipius hat gesagt…

Erstens: Um wie viel habe ich meinen Abi-Durchschnitt nach oben korrigiert?
Zweitens: Schön, daß Du wieder schreibst!

Charlotte hat gesagt…

Ich weiß nicht mehr, aber deftig... *schepper*

Danke Dir, Bruderherz!