Dienstag, 12. Oktober 2021

04.03.2021

Ein freier Tag, ein alter Film und eine flauschige Plauze. Trotzdem eher trüb.

Es ist noch Morgen. Ich sitze im Bett, trinke Kaffee, und schaue „Die Seltsame Gräfin“, Deutschland, 1961, nach einem Roman von Edgar Wallace. Neben mir döst die Katze, sie hat sich an meinen Oberschenkel gelegt und teilt ihre Wärme, das Zimmer ist noch kühl

Ich habe die vier Miss Marple-Filme mit Margaret Rutherford durch, jetzt ist kalter Entzug angesagt. Also schaue ich deutsche Krimis, die behaupten, in England zu spielen, und die so deutsch sind wie Bockwurst und Badelatschen.

Im Augenblick ist mir nach nüchternen, schwarz/weißen, unaufwändigen Filmen, schnell und preisbewusst gedreht, keine existenziellen Fragen aufwerfend, keine CGI-Orgien. Einfach ein paar bodenständige Schauspieler und etwas altbackenes Krimi-Brot, ein Funkgerät, eine Telefonzelle und flackernde Taschenlampen, deren Batterie genau zur rechten Zeit streikt. Gerades Spiel ohne selbstironischen Tinnef. Alte Schule eben. 

Der Film ist streckenweise unruhig, hart geschnitten. Dauernd will eine unbekannte Macht der jungen Protagonistin ans Leder, also führt sie häufig die geballten Fäuste an die Schläfen, schüttelt wie rasend den Kopf und ruft: „Ich kann nicht mehr!“ oder Ähnliches.

Joachim Fuchsberger passt auf sie auf. Er macht Judo-Rollen, verpasst Handkantenschläge und hält sein eckiges Kinn in die Kamera, ein Kinn wie in Hollywood. Manchmal ein grimmiges Lächeln.

Eddy Arent und Klaus Kinski als die üblichen Knallchargen. Kinski ist hoffnungslos drüber. Irres Augenflackern, Lippenzucken, wirre Rede und wirres Haar. Die dunkle Seite des Mondes präsentiert einem Publikum, für das ein gelockerter Krawattenknoten schon den Auftakt zu Wahnsinn und sexueller Ausschweifung bedeutete. Seht her, so sieht sie aus, die geistige Umnachtung! Erschaudert!

Sehr nice: Lil Dagover als seltsame Gräfin. Sie trägt bodenlange, schmale Kleider, hüftlange Ketten, übertrieben hohe Stehkragen, Diademe, Armbänder und andere Klunker. Sie geht nie. Sie schreitet, oder sie huscht. Wenn sie huscht, befinden sich ihre Hände immer auf Höhe ihrer Schultern, die Ellenbogen sind ausgestellt, und sie geht leicht in die Knie. Einmal trägt sie eine Kerze beim Huschen. Episch. Wenn sie Dir misstraut, legt sie den Kopf in den Nacken und starrt Dich aus halbgeschlossenen Augen an. Eine Morticia Adams mit Expressionisten-Hintergrund. 

Als Antagonistin Marianne Hoppe, ungeschminkt und unfrisiert, fade Klamotten, fester Blick, grade Haltung, die Ruhe selbst. Die haut nichts um. Am Schluss starrt sie die Gräfin, diese Swarovski-Fledermaus, in Grund Boden, eine Frau wie ein Baum. Meine Oma war ein echtes Fangirl von Marianne Hoppe, eben hab ich sie deswegen nochmal gegoogelt, und ich muss sagen, props. Eine beeindruckende Frau.

Die Katze neben mir hat kein Vertrauensproblem so wie die Gräfin. Sie liegt auf der Seite und präsentiert ihren flauschigen Bauch. Sie schläft nicht, sondern schaut zum Fenster. Draußen trommeln die Regentropfen aufs Fensterblech und hüpfen an die Scheibe. Denken Katzen nach? Philosophieren sie an einem trüben Tag über das Leben? Freut die Katze sich, hier drin zu sein, anstatt da draußen? Oder vermisst sie ihre Freiheit?

„Einen Penny für Deine Gedanken, Puppe“, das passt in einem Film der 1960er Jahre, heutzutage eher nicht so. Also lasse ich die Katze in Ruhe und frage mich stattdessen, was einige der Schauspieler wohl 20 Jahre vorher gemacht hatten, bevor der Film gedreht wurde. Und lasse es wieder. Zu deprimierend. Meine Oma hätte es mir sagen können. Sagen, was Marianne Hoppe, Lil Dagover, Heinz Rühmann, Ilse Werner, Willy Fritsch und all die anderen, die ich aus meiner Nachkriegskindheit aus dem Fernsehen kenne, damals gemacht hatten. Die Schauspieler wussten es und ihr Publikum wusste es. Alle wussten sie es.

Die dunkle Seite des Mondes.

Vielleicht schaue ich lieber doch einen englischen Krimi?

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